Ottokar von Kraft                  Den Ewigblinden

 

Um euch ist Gott in seiner ganzen Hehre,

Ihr seht ihn nicht und schnitzt euch selber einen;

Er unterweist euch, wo ihr mögt erscheinen,

Ihr hört ihn nicht und stümpert selbst die Lehre.

 

In Wald und Garten baut er sich Altäre,

Ihr seht sie nicht, baut Kirchen ihm von Steinen;

Er lädt zur Andacht euch, zur wahren, reinen,

Ihr merkt es nicht und schwatzet blind ins Leere.

 

Rings Gott-Natur aus lauter Licht gemacht,

Und dennoch sehn sie nichts, die Ewigblinden,

Sie streichen Hölzchen an, als wär’ es nacht.

 

Ich glaub’, wenn mitten auf der Sonn’ sie stünden,

Sie wähnten sich zutiefst im dunklen Schacht:

Geweihte Kerzen würden an sie zünden!

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Auf meinen ersten Preis in der Schlaraffia

 

Ich war beglückt, als ich das Lied erdachte,

Das mir bei euch den ersten Preis errungen;

Ihr wart beglückt, als ich es euch gesungen,

das ich geschöpft aus tiefstem Herzensschachte.

 

Ich freute mich, als Stern und Band mir lachte,

Daß mir der Sang und euch die wahl gelungen;

Ihr freuet euch, als um den Hals geschlungen

Ihr mir das Band, das Dichtkunst ein mir brachte.

 

Ein Orden, so in Freude nur erbeutet,

Der mir nur Glück und euch nur Lust bereitet,

Doch niemand Schmerz, ist werter mir und lieber,

 

Als all der Tand, von Sclaven und Halunken

Zu andrer Menschen Qual im Streberfieber

Erkrochen und erwedelt und erstunken.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Wer soll sich ausleben?

 

Ausleben sich, heiß’ ich die erste letzte

Und höchste von des höhern Menschen Pflichten;

Kastein sich, auf sein bestes Selbst verzichten,

Den ärgsten Mord, der je sein Eisen wetzte.

 

Doch wenn für höhrer Mensch Tyrann man setzte,

Bedrücker, Streber, stimmt’ ich bei mit nichten;

Ausleben lehr’ ich wohl, im Leben, Dichten,

Doch weit entfernt, daß ich zum Bösen hetzte.

 

Der keinem Schmerz, doch vielen Lust kann bringen,

Dem Forscher, Künstler gönnet, das er aushebt

des Innern Schatz, sei’s Denken, Dichten, Singen!

 

Doch wehrt dem Streber ja, daß er sich ausstrebt,

Dem’s nur auf andrer Kosten kann gelingen:

Denn weh den Guten, wenn ein Schuft sich auslebt!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Wen Gott berufen hat ...

 

Wen Gott berufen hat zu heil’ger Sendung,

Dem gibt er auch den Ehrgeiz zum Vollbringen,

Der wird und muß aus ganzer Seele ringen

Nach seiner Gaben richtiger Verwendung.

 

Beschränktheit nur und kleinliche Verblendung

Versuchen ihn in falsches Joch zu zwingen;

Was andre hemmt, bedeutet ihm Gelingen,

Und andrer Tätigkeit ist ihm Verschwendung.

 

Er kann und darf nicht jeden Ehrgeiz stillen,

Sobald’s vom Hauptziel droht ihn abzubringen,

Muß selbst die Ehr’ verschmähn des Ruhmes willen.

 

Er darf sich nicht vergeuden am Geringen,

Des höchstes Streben ist vor allen Dingen:

Die vorbestimmte Sendung zu erfüllen!

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Genie und Gesellschaft

 

Ich sag’, dem Genius ist es nicht verwehrt,

Sich zu entziehn den Pflichten und Gesetzen,

Die Andern Wohltat, ihm ein Meer von Netzen,

Grund der Gesellschaft, ihm ein Richterschwert.

 

Muß doch Gesellschaft wieder umgekehrt

Auch sein Gesetz ihm tausendfach verletzen,

Das, ihm zum Heil, ihr wehrt, sich durchzusetzen,

Bedürfnis ihm, ihr sonder Nutz und Wert.

 

So ist die Schuld zu mindest gegenseitig.

Doch trifft auch dann der größ’re Teil des Grams

Den Genius stets – das macht mir keiner streitig!

 

Denn was Jahrhunderte von ihm, dem Einen,

Empfangen, steht doch wahrlich, will ich meinen,

Für diesen Gran verletzten Formenkrams.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Pflicht und Ehre

 

Ein sichrer Kompaß sind uns Pflicht und Ehre,

Ohn’ sie muß jede Lebensbarke stranden,

Sie halten einzig Mensch und Mensch in Banden,

Der ärger denn das ärgste Tier sonst wäre.

 

Doch wehe, wehe, wenn sie falsch verstanden,

Wenn Ehre Blödsinn wird und Pflicht Schimäre,

Wenn Dummheit, Satzung, Irrsinn Geistesleere

Verletzung beider sieht, wo nichts vorhanden!

 

Wenn gar das Pack der Vielzuvielen, Kleinen,

Die Ehre der Pygmän, die Pflicht der Zwerge

Zur Pflicht und Ehr erhebt im allgemeinen:

 

Dann, Götter, schützt Vernunft und Menschenrechte!

Dann wird die satzung alles Großen Scherge

Und Ehr’ und Pflicht des Glückes Henkersknechte.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Pflicht der Großen

 

Was nenn’ ich Pflicht? Erfüllung unsrer Sendung,

Nun ist Verschied’ner Sendung stets verschieden;

Drum sind es unsre Pflichten auch hienieden

Und mannigfalt der Menschen Nutzverwendung.

 

Verlangt vom Pack nicht Werke der Vollendung,

Dem nur die Kraft zum Pflugziehn ward beschieden;

Doch laßt den Künstler mit dem Pflug in Frieden,

Der mehr euch dient mit seines Geist Verschwendung.

 

Der Großen Einer, die die Menschheit lenken,

Weiht ihren Diensten sich sein ganzes Leben,

Er braucht sich nicht im kleinen zu verschenken.

 

Was andern höchste Pflicht, ist ihm’s mit nichten,

Wenn’s Ketten anlegt seinem höhern Streben:

Denn seine Pflicht steht über seinen „Pflichten“.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Ein Damoklesschwert

 

Den König, seine Neigung zu erwerben,

Pries einst ein Schmeichler aus der Höflingsschar;

Der lud zum Mahl ihn, reich und wunderbar,

Bewirtend ihn gleich seines Thrones Erben.

 

Mit eins begann vor Schreck sich zu entfärben

Damokles’ Wang’, denn wes ward er gewahr?

Ein scharfes Schwert an einem Pferdehaar

Ob seinem Haupte dräut auf ihn Verderben.

 

Und wißt ihr, wen ich beiden gleich befunden?

Dem Neider alle Krüppel, Lahmen, Kranken,

Die ungeschickt zum Kampfe, weil zum Sieg;

 

Und Dionys uns Starken und Gesunden,

Die stets erzittern müssen beim Gedanken

An aller Übel schrecklichstes – den Krieg!

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Der Krieg

 

Der Krieg, so hör’ ich oft, ist recht und gut,

Bringt Leben, Wechsel in der Menschen Treiben,

Die Welt horcht auf, wenn Völker sich zerreiben,

Man lauscht gespannt dem Walten blinder Wut.

 

Verspritzen auch Zehntausende ihr Blut,

Erhebend ist’s für die, die übrig bleiben,

Der Welt ein Schauspiel, Dichtern Stoff zum Schreiben,

Einförmig rollte sonst der Zeiten Flut.

 

Wie mir das vorkommt? Fast so, als, man ließe

Im Reich zu Zeiten ein paar Züg’ entgleisen

Und kreuzigte alljährlich tausend Christen,

 

Nur, daß das Leben nicht eintönig fließe,

Nur um dem Volk ein Schauspiel zu erweisen

Und Stoff zu liefern für den Reichschronisten.

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Volkstum und Persönlichkeit

 

Ich kann den Zug der Zeit nicht ganz verklagen,

Das Streben jedes Volks nach Kraft und Einheit,

Steht gleich mein letztes Ziel in seiner Reinheit

Hoch über Völker-, über Glaubensfragen.

 

In unsern leeren, seichten, armen Tagen

Der farb- und inhaltslosen Allgemeinheit,

Scheint’s doppelt Rettung mir aus dieser Kleinheit,

Zu steigern sich an Volkes stolzem Ragen.

 

Ist Volkserstarkung doch im Völkerstreben,

Was Eigenart, Charakter, Selbstgestaltung

Im Sein des Einzlen: stärkstes Ja zum Leben.

 

Nur wer mit Mitteln, ganz nur ihm zu eigen,

Ob Volk, ob Einzler, ringt nach Seinsentfaltung,

Wird diesem Schlamm der Gleichheit je entsteigen.

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Mein Deutschtum

 

Ich lieb’ des deutschen Volkes Art und Wesen,

Sein ganzes Fühlen, Denken, Dichten, Trachten,

Ich wünsch’ ihm Sieg in Volks- und Geistesschlachten,

Aus Stürm’ und Wettern wünsch’ ich ihm Genesen.

 

Doch eh’ ich, wie die Hexe ihren Besen,

Sein Lob’ nur hetzt’, die andern zu verachten,

Eh’ ich in undeutsch blindem Geistumnachten

In fremder Größe Buch verlernt’ zu lesen;

 

Eh’ ich, zu schmeicheln ihm, mich ließe zwingen,

Von eignen Wesens Höhn hinabzusteigen,

Von meinem Selbst herunter ließe dingen:

 

Eh’r will ich keinem Volke sein zu eigen,

Und lieber ungehört in Wüsten singen,

Als knechtisch je dies freie Haupt zu neigen.

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Das Duell

 

Am Wirtshaustisch bei starken Weines Quelle

Entspinnt sich Zank ob einer Nichtigkeit;

Den Guten schilt der Schlechte was im Streit,

Der andern Richtspruch zwingt sie zum Duelle.

 

Sie fechten, weil man anders sie bespeit,

Da bleibt der gute leblos auf der Stelle;

Doch durch die Frommen geht’s mit Windesschnelle:

Wer glaubt an Gott noch und Gerechtigkeit?

 

O Menschen, wahnbetörte, blinde Meute!

was klagt ihr Gott ob eig’nes Irrsinns an?

Hieß er euch, also schlichten Knabenstreite?

 

Gott ist gerecht und war’s nicht minder heute,

Da er gerächt barbar’scher Satzung Wahn:

Nur eurer Dummheit fiel der Mann zur Beute!

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Ehrenmänner-Logik

 

„Mit einem Schurken kreuz’ ich nicht den Degen,

Mein Gegner sei gleich mir ein Ehrenmann.“

Gut; doch erklär’, sobald er’s ist, wie kann

Zu tötlich grimmen Haß er dich erregen?

 

Allein er kann’s, zugeb’ ich’s meinetwegen;

Doch wird er nicht sein Unrecht einsehn dann?

Und sieht er’s ein, wirst du, selbst Ehrenmann,

Fleht er Vergebung, länger Zorn noch hegen?

 

Zudem: du fichtst aus Haß, zur Sühn’, aus Rache;

Warum sie just dem Schurken dann erlassen,

Des Haß natürlich, reine Menschensache?

 

Warum dem Ehrenmann sie eh’r erweisen?

Gilt er es dir, wie kannst du dann ihn hassen?

Und haßt du nicht: wozu dann Blut und Eisen?

 

 

 

 

 

 

 

Ottokar von Kraft                  Bedingtes Übermenschentum

 

Wohl hass’ ich dieses „Gleiches Recht für alle,“

Das Groß und Klein auf gleichen Leisten windet;

Die Stumpfheit, die, für Genius’ Art erblindet,

Den Dichter zwingt zum Wärterdienst im Stalle.

 

Wohl heiß’ ich#s Dichters Recht in jedem Falle,

Voll auszuwickeln, was er denkt, empfindet;

Zerbrechen darf er, was ihn hemmt und bindet,

Vermag er’s nicht, er tauch’ den Stift in Galle!

 

Nur jenen, riet’ ich, binde man die Hände,

Die groß zum Schmerz und schaden dem Geschlechte,

Tyrannen, denen Menschen Gegenstände.

 

Sonst schmälern wir noch mehr die Menschenrechte,

Und statt der größern Freiheit, ist das Ende:

Ein Übermensch und hunderttausend Knechte,